Jessica Klein aus London schreibt ihre Masterarbeit über Meschendorf
Jessica Klein
Schon in meinen frühesten Kindheitserinnerungen spielte Meschendorf für mich eine Rolle. Mein Grossvater Georg Klein hatte die grosse Gabe, zu erzählen; von seiner Kindheit, von seinem Dorf, und wie das Leben dort früher war.
Bei mir, seiner Enkelin, blieb vieles davon bildhaft im Gedächtnis haften. Ich wurde 1988 in London geboren, doch Georg's Erzählungen erweckten bei mir im Kindesalter die Faszination für die Geschichte. Die Geschichte von Georg, von unserer Familie, von den Siebenbürger Sachsen. Die lebhaften Schilderungen gruben sich in meinem Kopf wie ein historisches Märchen ein.
Es hatte Georg nach dem Krieg nach Stuttgart verschlagen, wo er meine Oma Ruth kennenlernte und wo mein Vater Roland geboren war. Meschendorf blieb in meinem Kopf lebendig. Und so machte ich 2011 endlich meinen Wunsch wahr und fuhr nach Meschendorf. Ich wählte das Dorf und seine Kulturgeschichte zum Gegenstand meiner Londoner Master-Abschlussarbeit im Fach Architektur.
Was ich dort im Sommer 2011 fand, war ein tiefer Blick in die deutsche Vergangenheit, ein reiches Kapitel von mehr als 700 Jahren deutscher Geschichte. Und von Menschen, die hart arbeiteten, ihren Reichtum an Kultur schützten und von Generation zu Generation weitergaben. Aber auch von einem Kapitel deutscher Auswanderer, das noch im vorigen Jahrhundert jäh abbrach und nun allmählich zu verschütten droht.
Ich war deswegen umso dankbarer, dass Martin Klein (der Neffe meines Grossvaters) und seine Frau Friedchen sowie deren Kinder mir halfen, im Sommer 2011 in Meschendorf die Tür in die Vergangenheit weit aufzustossen. Für meine Arbeit mit dem Titel "Meschendorf" erhielt ich an der Universität Westminster eine besonders gute Note. Sie wurde als zweitbeste Abschlussarbeit prämiert.
Meine Arbeit analysiert, wie die Meschendörfer zusammenlebten, was sie jahrhundertelang zusammenhielt. Auch welche Widerstände sie in den zahlreichen Katastrophen zu überwinden hatten und wie sie unverzagt und hartnäckig weitermachten. Besonders interessierte mich, wie die Siebenbürger ihre Dörfer bauten, welche Faktoren die Technik, das Material, den Stil bestimmten. Aber ich recherchierte auch, wie sie zusammenlebten, was sie am Leben hielt, Auch das ist Teil von Architektur, die nicht nur Wände und Ziegel, sondern auch das menschliche Miteinander erforscht und in geeignete Lebensformen weiterentwickelt.
Was ich auf meiner Reise aber auch erfuhr, war die Tragödie des aktuellen Kapitels der Siebenbürger Sachsen: Der Umzug nach Deutschland. Die verlassene Höfe. Das inzwischen immer mühsamere Bewahren der Geschichte und auch die Sehnsucht vieler meiner Gesprächspartner nach der alten Zeit.
Ich habe mehrere Tage lang die Meschendorfer Häuser lückenlos fotografiert. Ich habe die Kirchenburg, die 2011 im Umbau war, mehrfach besucht und habe vom Glockenturm die Landschaft dokumentiert. Ich bin in den Maigraben gestiegen und habe auf der Höhe die verwachsenen früheren Weiden abgewandert. Ich habe mir die längst verschwundenen Weinberge zeigen lassen und habe Palukes und Schafskäse kennengelernt. Ich habe viel Recherche betrieben, um zu verstehen, was als historisch einmaliges Phänomen passieren muss, wenn deutsche Aussiedler ihre Kultur lückenlos über sieben Jahrhunderte bewahren.
Was ich aber besonders versucht habe aufzufangen, sind die Erzählungen der Menschen, so wie sie auch mein Grossvater Georg bei mir hinterlassen hat. Erlebte Geschichte von Menschen ist tausend mal aufregender als das Studieren von Büchern. So wurde meine Arbeit auch eine kleine Dokumentation von Begegnungen mit Personen, die Meschendorf mit geprägt haben, die ihre Vorfahren haben Revue passieren lassen. Durch sie wurde mir Geschichte wieder lebendig, und ich habe so viel es mir im Rahmen meiner Aufgabe möglich war niedergeschrieben und dokumentiert.
Am eindrucksvollsten war das Treffen mit Martin Werner (101 Jahre alt), ein Mann, der mit grosser Geistesgegenwart und offenkundigem mikroskopischem Gedächtnis sein Leben vor mir ausbreitete. Er ist ja inzwischen eine Berühmtheit geworden und verkehrt ja auch bisweilen mit dem englischen Königshaus. Aber auch andere Siebenbürger Sachsen opferten mir ihre Zeit und erlaubten mir, mit Ihrem Wissen zum Gelingen beizutragen. Dabei habe ich mich besonders gefreut, dass die spontanen Treffen auf der Gasse oft zu einem kleinen Seminar in Meschendörfer Geschichte wurden.
Zurück in London schätzte mein akademischer Lehrer meine Arbeit deswegen, weil sie am Ende auch beschreibt was passiert, wenn Politik und Strukturwandel ein solches Erbe gefährden. So wurde der Auszug der Siebenbürger Sachsen wohl die größte Massenumsiedlung einer ethnischen Gruppe, die in Europa seit dem letztem Jahrhundert stattgefunden hat.
Es gibt offenkundig nicht viel englischsprachige Literatur zum Thema der Siebenbürger Sachsen. Wohl deshalb habe ich in den vergangenen Monaten etliche Anfragen von Wissenschaft und Medien erhalten, die mir ihr Interesse an weiterführender Berichterstattung bekundet haben. Wenn es mir mein Beruf als Architektin in Mexico City erlaubt, will ich das nächstjährige Meschendorfer Treffen zum Anlass nehmen, einige dieser Aktivitäten umzusetzen. Damit die Erinnerung von Georg Klein, meiner Familie, den Meschendörfern und Siebenbürger Sachsen am Leben bleibt.
Jessica Klein
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